Vom Wandern in den Alpen zum (Über)Leben in der Wildnis
Es war für uns ein Sprung ins kalte Wasser. Während unserer Reise durch Kanada und Alaska verbrachten Ursula und ich diesen Sommer insgesamt ein Monat in der Wildnis. Wir sammelten dabei viele tolle, abenteuerliche, aber auch extreme Erfahrungen und Erlebnisse. Und wir lernten einen demütigen Umgang mit der (rauhen) Natur und den Tieren.
Rückblickend haben uns die körperlichen, mentalen und emotionalen Herausforderungen persönlich sehr gestärkt und auch unsere Paar-Beziehung wurde dabei intensiver und gestärkt. Wir sind froh und zufrieden, dass wir uns auf die Paddel- und Wandertouren in der Wildnis eingelassen und unsere persönliche „Komfortzone“ verlassen haben.
Als wir im Juli 2019 mit unserem Rafting-Boot unsere Tour starteten, um zehn Tage lang den Blackstone River hinunter zu paddelten, war zu Beginn schon einiges an mulmigem Gefühl dabei. Wir haben beide viel Erfahrung vom Wandern und Bergsteigen in den Alpen, aber alleine in der Wildnis in Kanada unterwegs zu sein, ist definitiv etwas Anderes.
Mit diesem Blog wollen wir andere ermuntern, es auch auszuprobieren und ein paar Tipps für den Einstieg geben.
Wo liegen die Unterschiede?
Wer in Mitteleuropa lebt hat kaum die Möglichkeit richtige „Wildnis“ zu erleben, da man nie weiter als ein paar Kilometer von der nächsten Ortschaft oder Straße entfernt und die Mobiltelefonabdeckung fast flächendeckend ist. Man bewegt sich meist auf markierten Wanderwegen und trifft regelmäßig auf andere Menschen. Darüber hinaus gibt es keine wilden Tiere mehr, die dem Menschen gefährlich werden können.
· Es gibt keine Wege: Wenn man gewohnt ist auf markierten Wanderwegen zu marschieren, dann ist der erste große Unterschied, dass es in der Wildnis von Kanada und Alaska keine ausgetretenen Wege gibt (abgesehen von den Wildtier-Pfaden der Bären, Elchen, Karibus und Wölfe, die meist zu Wasserstellen und Bächen führen). So wandert man entweder durch dichtes Unterholz oder entlang von Bächen und Flüssen. Das Gehen ist deutlich anstrengender und dauert viel länger. Mit schwerem Gepäck haben wir in Kanada im Muskeg (arktischer Moosboden) fallweise nur 500 m pro Stunde geschafft.
· Es gibt keine Wegweiser: No-Na… Da sind deine Orientierungskenntnisse gefordert, besonders wenn man durch dichtes Unterholz marschiert und keinen Horizont hat, an dem man einen Marschpunkt fixieren kann. Du wirst nicht glauben wie schwer es ist, in unebenem Gelände und dichtem Unterholz die Richtung zu halten. GPS hilft natürlich, allerdings muss man dafür ausreichend Energie (Batterien, Power Pack) mithaben, um das Gerät über mehrere Tage ständig eingeschaltet zu lassen. Zudem hatte unser Kompass nahe dem Polarkreis eine Missweisung von 20 Grad.
· Es gibt wilde Tiere: Anders als in Mitteleuropa gibt es hier wirklich wilde Tiere (Wölfe, Bären...). Die sind nicht nur viel stärker als wir, sondern haben viel bessere Sinne (hören, riechen und sehen besser als wir). Glücklicherweise sind wir nicht ganz oben auf ihrem Speiseplan und wenn man die Regeln im Umgang mit Bären, die uns die Park Ranger gelernt hatten, einhält passiert ganz selten was. In den letzten Jahren wurden in ganz Nord-Amerika weniger als fünf Personen pro Jahr durch Bären getötet. In den vergangen Jahren sind in Nord-Amerika nie mehr als fünf Personen pro Jahr von Bären getötet worden (mehr Details dazu unter https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_fatal_bear_attacks_in_North_America ).
· Der Schlaf- und Lagerplatz muss gefunden werden: Am Ende der Tagesetappe wartet keine Schutzhütte und der Schlaf- und Lagerplatz muss selbst ausgewählt und angelegt werden. Wesentlich ist dabei das Kriterium der Sicherheit. Die Essens- und Kochstelle muss wegen der wilden Tiere mindestens 100 m vom Zelt/Schlafplatz entfernt sein. Ebenso wichtig sind das Vorhandensein von Feuerholz und Wasser sowie die Abklärung der Überflutungssicherheit.
· Alles muss von Beginn an mitgetragen werden: In der Wildnis kann man nichts nachkaufen. Es bedarf einer sorgfältigen Planung für Ausrüstung, Kleidung, Essen etc. Was wird (unbedingt) gebraucht und was kann alles selber getragen werden? Erfahrungsgemäß macht jedes zusätzliche Kilo Ausrüstung im Laufe des Tages langsamer und müder. Es geht also darum einen Kompromiss zu finden, zwischen dem was unbedingt notwendig ist und dem was noch getragen werden kann.
· Es gibt keine Mobil-Telefonabdeckung: Wir sind mittlerweile gewohnt, dass wir von überall aus mit dem Handy anrufen können. In der Wildnis ist es anders. Die einzige Verbindung zur Außenwelt sind Satelliten-Telefon oder Funk.
· Wir sind ganz alleine auf uns gestellt: Obwohl wir auch in der Wildnis Menschen getroffen haben, bleibt man grundsätzlich auf sich alleine gestellt. Dh. wenn etwas schief geht, muss man sich selbst helfen können. Umgekehrt haben wir es sehr genossen alleine zu sein, einsame Orte zu erleben, nur die Geräusche der Natur zu hören.
All dies mag jetzt etwas abschreckend oder bedrohlich klingen. Trotz alledem – es ist wert, es zu wagen. Die „Belohnung“ sind intensive Erlebnisse und Erfahrungen, atemberaubend schöne Begegnungen mit Tieren, ein Gefühl der inneren Zufriedenheit und eine Rückkehr zu den eigen Wurzeln.
Einige praktische Tipps
Ursula und ich sind durch die vier Wochen in der Wildnis sicher keine Outdoor- oder Survival-Spezialisten geworden. Wir fühlen uns aber jetzt schon etwas sicherer in der Wildnis und wollen ein paar Tipps teilen, die uns geholfen haben, bzw. von Fehlern erzählen, die uns passierten.
Darüber hinaus gibt es genügend Survival-Bücher um sich in die Basics einzulesen. Auf jeden Fall ist eine gute Vorbereitung für das (Über)Leben in der Wildnis definitiv hilfreich und wichtig.
· Kommunikation / Satelliten-Telefone: Wenn man nicht als absoluter Purist in die Wildnis gehen will, empfiehlt es sich, ein oder zwei Geräte mitzunehmen, mit denen man im Fall des Falles Hilfe mobilisieren kann. Wir verwenden als „life line“ ein Iridium-Satellitentelefon und einen SPOT 3 (www.findmespot.com/en/index.php?cid=100) Eine gute Alternative ist auch inReach (https://explore.garmin.com/en-US/inreach/) . Bei unserer Fahrt am Blackstone und Ogilvie River funktionierte das Sat Phone (durch eigene Schuld) nicht. Es war kein angenehmes Gefühl ohne Kommunikation in der Wildnis zu sein.
· Energieversorgung: Ausreichend Batterien, Ladegeräte, Power Packs, und Kabel mitnehmen, um die elektrischen Geräte die gesamte Reise betreiben zu können (uU wird auch ein Solar Panel notwendig sein). Bei unserer ersten zehntägigen Ausfahrt haben wir gegen Ende der Reise unser GPS nur mehr mit dem letzten Quäntchen Energie betreiben können.
· Ausreichend Essen und Wasser sowie einen Wasser-Filter mitnehmen: Nimm ausreichend Reserven mit! Wir haben am eigenen Körper schmerzlich gespürt, wie es sich anfühlt, wenn das Wasser und das Essen ausgehen. Anders als in Mitteleuropa kann man das Wasser in der Wildnis wegen möglicher Parasiten nicht unbehandelt trinken. Abhilfe sind Abkochen, Chlortabletten oder – was wir bevorzugen – ein Filtersystem.
· Kenne deine Ausrüstung: Schau ob du insbesondere die elektronischen Geräte richtig beherrscht. Ich hatte meinen Garmin 15 Jahre nicht mehr verwendet und musste ihn in Kanada erst mühsam wieder erlernen.
· Kenntnisse sich im unbekannten Gelände zu orientieren sind ein absolutes Muss: Nimm genaue Karten, Kompass und zumindest zwei GPS Geräte mit (das GPS deines Smartphones funktioniert auch ohne Netzabdeckung!!!). Wo möglich lade dir elektronische Karten in dein GPS. Wie wir feststellen mussten ist hoch im Norden die Kompassmissweisungen aufgrund des Unterschieds zwischen magnetischem und geografischem Nordpol sehr stark.
· Travel light: Wenn du zu Fuß unterwegs bist denk dran, dass du alles mehrere Tage durch schwieriges Gelände tragen musst. Sei realistisch was dein Körper aushält. Im Endeffekt geht es um einen Kompromiss zwischen dem was man unbedingt benötigt und dem was man tragen kann. Hier hatten wir uns deutlich überschätzt und mussten einmal einen Teil der Ausrüstung zurücklassen.
· Der Umgang mit wilden Tieren: Wir absolvierten mehrere Bären-Sicherheitstrainings, die in jedem Nationalpark angeboten werden und trugen immer einen Bären-Spray (auf Pfefferbasis) mit uns, der sehr effektiv sein soll. Außerdem verwendeten wir immer einen Bären-Container zur Aufbewahrung des Essens. Wer ganz sicher gehen will kann einen elektrischen Bärenzaun für das Zelt mitnehmen http://www.bigcountrysportinggoods.com/udap-bef-bear-shock-ultra-light-electric-fence-runs-on-2-d-cells-bef/?gclid=EAIaIQobChMIm6zppamX5AIVhtlkCh28Tw_BEAQYAiABEgL3efD_BwE Im Wesentlichen geht es darum einige grundlegende Regeln einzuhalten. Bären werden durch Essen angelockt. Vermeide daher stark riechende Lebensmittel und verwahre Essen weit entfernt von deinem Schlafplatz. Wir verwendeten darum vorwiegend abgepackte und getrocknete Fertiggerichte, die mit kochendem Wasser zubereitet werden. Empfohlen wird, das Lager so einzurichten, dass Zelt, Kochstelle und die Verwahrung von Lebensmittel in einem Dreieck vom mindestens 100 m Schenkellänge angelegt sind. Kochstelle und Lebensmittel sollen wind-abwärts liegen. Essen muss entweder in einem bärensicheren Container aufbewahrt werden oder hoch genug zwischen zwei Bäumen aufgehängt werden. Wenn du plötzlich nah vor einem Bären stehts auf keinen Fall davonlaufen (das würde den Jaginstinkt auslösen) sondern möglichst groß machen. Wir standen einmal plötzlich 15 m vor einer Bärin mit zwei Jungen. Wir nahmen unsere Paddel und hielten sie über den Kopf. Die drei Bären richteten sich auf und marschierten nach fünf Sekunden dann in eine andere Richtung.
· Realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten: Ist man einmal in der Wildnis, so muss man/frau wieder selbst herauskommen. Eine „Es-Wird-Schon-Gehen“ Einstellung ist dabei nicht allzu hilfreich. Wir hatten uns zB. völlig überschätzt, wieviel Gepäck wir in schwierigem Gelände Tragen können.